Exkurs

Anfänge in Österreich
Elisabeth Schimana im Gespräch mit Seppo Gründler und Martin Schitter

Welche Vorläufer des Internet kennt ihr in Österreich?

Martin Schitter: Ich kenne Computerkommunikation mit Modems. Anfang der 1990er-Jahre besorgte ich mir ein schickes Designermodem, es sah aus wie eine Haifischflosse, und ich wusste auch gar nicht, wo ich damit anrufen könnte. Ich blätterte in einer Computerzeitschrift und wählte eine der dort angegebenen Nummern, um mein Modem zu testen, und landete in einer Wiener Neonazibox. Bei meinem nächsten Versuch geriet ich an eine FidoNet-Mailbox [FidoNet –Mailboxnetz, das sich in den 1980ern und 1990ern über die ganze Welt verbreitete, Anm.], die später sehr groß wurde und von der es dann einen direkten Übergang ins Internet gab.

Letztendlich war diese Box namens „Krimskrams“ [FidoNet Box: 2:310/39, Anm.] später einer der wichtigsten Gateways vom FidoNet, das eines der privaten Computernetzwerke ist, hin zum Internet. Alex Talos, heute ein wichtiger Sicherheitsexperte Österreichs, baute diese Box auf, und ich war der Vierte, der dazukam. Es gab einen Raum am Schwedenplatz, gefüllt mit Modems, über die der gesamte Verkehr in Europa abgewickelt wurde.

In diesen frühen 1990er-Jahren fand im WUK [Werkstätten- und Kulturhaus, selbstverwaltetes Kulturzentrum in Wien, Anm.] eine Podiumsdiskussion im Rahmen einer Piratenradiokonferenz statt. Es existieren sehr viele Querverbindungen zwischen Radio und Netz, eine davon ist das Ethernet, die physikalische Basis für lokale Netzwerke. Der Name kommt von der ursprünglichen Vorstellung, dass dieses Netz etwas mit Funk zu tun hat, also mit dem Äther. Herbert Hrachovec, Professor für Philosophie an der Universität Wien, wies erstmals darauf hin, dass große Files von Radiosendungen, die in dieser Zeit über FTP [File Transfer Protocol, ein spezifiziertes Netzwerkprotokoll zur Übertragung von Dateien, Anm.] ausgetauscht wurden, um angehört werden zu können, nun für alle zugänglich seien und sich somit ein neues Paradigma auftun würde. Ich redete dem streng zuwider. Ich meinte, dass das Internet sehr elitär sei und nur er als Professor Zugang hätte, während man als „normaler“ Mensch aber nicht hineinkäme. Nach dieser Diskussion einigten wir uns darauf, dass ich bei ihm studiere, einen Account zum Großrechner und damit Zugang zum Internet bekomme. Damit war ich wirklich einer der Ersten, die sich auch hierzulande damit spielen konnten. Kurz darauf arbeitete ich mit Gerfried Stocker, heute Leiter des Ars Electronica Center, am Projekt „Realtime“ [ORF Kunstradioprojekt 1993, Anm.]. Gerfried suchte jemanden, der mit Modems umgehen konnte, und so kam ich dazu. Diese Leute arbeiteten sehr stark mit Modems und klassischer, auf MIDI [Musical Instrument Digital Interface – digitale Schnittstelle zur Übermittlung musikalischer Steuerinformationen zwischen elektronischen Instrumenten, Anm.] basierender Kommunikation, etwa an der Übersetzung von MIDI auf Telefonmodemprotokolle, die eigens dafür erstellt wurden. Der Teil, den ich einbringen konnte, war eben genau das, was Internet ausmacht, nämlich TCP/IP [Transmission Control Protocol/Internet Protocol, Anm.], ein standardisiertes Protokoll, durch das Kommunikation ohne individuelle Basteleien möglich ist. Heute ist das nichts Besonderes mehr, da sowieso alle im Internet sind. Transmission Control Protocol/Internet Protocol, eine Familie von Netzwerkprotokollen, die die technische Grundlage des Internets bilden.

Seppo Gründler: Ich kam Ende der 1980er-Jahre irgendwie auf BBS [Bulletin Board System – Rechnersystem, das per Datenfernübertragung zur Kommunikation und zum Datenaustausch genutzt werden kann, Anm.], von FidoNet wusste ich da noch nichts. Josef Klammer [österreichischer Musiker und Komponist für elektronische Musik, Anm.] und ich hatten die Idee, im Rahmen von „Entgrenzte Grenzen“ 1988 ein Netzwerkkonzert zwischen Graz, Trient, Ljubljana und Budapest zu machen, deshalb führten wir aus Deutschland illegal zwei Akustikkoppler [Variante des Modems, mit der Daten über eine Telefonleitung verschickt werden, Anm.] ein, da es in Österreich nur sehr teure, von der Post zugelassene Modems gab. Ich schrieb eine Software in Assembler, mit der MIDI-Daten übers Netzwerk verschickt werden konnten. Durch die elendiglich langsame Datenübertragung wurde aus einem Akkord eine Akkordzerlegung. Bei meinen ersten Versuchen zu diesem Projekt kam ich über eine Telefonnummer aus einer Computerzeitung zu einer Cruise-Missile-Station in New Mexico, was uns bestätigte, dass diese Technologie vorerst eine militärische war. Wenig später stießen wir aber auf den Chaos Computer Club [Verein von Hackern in Deutschland, Anm.] und das FidoNet. Ich betrieb dann selbst einen FidoNet-Subknoten.

Was war für euch das Spannende am Kunstkontext?

Martin Schitter: Für Leute wie mich, aus einer kleinstädtischen Industriegegend kommend und von der Umwelt und den wohlwollenden Wünschen der Eltern in eine Technikerkarriere gedrängt, bot die Kunst einen Freiraum und war ein intelligentes Mittel zur kritischen Reflexion all dieser äußeren Determiniertheit.

Seppo Gründler: Mir ging es in erster Linie um den Raum, der hier entstand. Ich wollte diesen Raum auch mit „anderem“ als seiner rein technischen und militärischen Verwendung füllen. Gescheitert bin ich damals am Versuch einer Oper im FidoNet. Wir wollten dazu die Texte, die in diesem Netz so auftauchten, verwenden, wurden aber fürchterlich als Parasiten beschimpft und zurechtgewiesen, dass Kunst in diesem Netz nichts verloren hätte.